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Dunkelheit

Katrin Pfeffer, Energie in Bewegung, Inspiration Emotion
Insta: @emotion.stories

Schwärze. Tiefste Nacht umhüllt mich. Schließt mich ein. Lässt mich kaum atmen. Schatten um Schatten huscht an mir vorbei. Lauernd. Ich spüre mein Herz. Es schlägt wie wild. Bummbumm Bummbumm...rasend...genau wie ich. Auf meinem Fahrrad. Der Fahrtwind peitscht mir ins Gesicht. Weg. Nur blos weg. Ich möchte weg! Kalte Schweißtropfen bilden sich auf meiner Stirn und rinnen Richtung Augenbrauen. Gehetzt wische ich sie weg, bevor mir etwas davon in die Augen tropft. Ich möchte hier auf keinen Fall stehen bleiben. Nicht hier. In der Schwärze. Der unheimlichen Dunkelheit, in der zahlreiche Schatten auf mich lauern. Ich richte meinen angestrengten Blick auf den kleinen Scheinwerferkegel, den meine Lampe auf den dunklen Asphalt wirft. Wieder Schwärze. Bedrohlich. Wie alles um mich herum. Der kleine Lichtflecken tanzt wie wild auf und ab. Zeigt im Außen wie ich mich fühle. Im Innern. Gehetzt. Erhellt nur einen Bruchteil meines Weges und lässt meine Umgebung ringsum noch dunkler und bedrohlicher wirken.

 

Plötzlich ein Schrei. Kreischend und hoch. Ich zucke entsetzt zusammen. Verreiße meinen Lenker kurz und schlage in meinem rasenden Tempo einen Haken. Mein Herz schlägt noch schneller. Könnte es zerspringen? Es rast wie eine wild gewordene Büffelherde in meiner Brust. Bummbumm. Bummbumm. Es schmerzt. Ich möchte mir an die Brust greifen, um den immensen Druck in meiner Brust wenigstens ein wenig zu lindern. Kann kaum noch atmen. Stoßweise geht er ein und aus. Angestrengt. Mühsam. Merke, wie mir meine Puste ausgeht. Wieder versucht die Panik mich zu übermannen. Lauert schon den ganzen Weg hinter einem hauchdünnen Vorhang. Hinter meiner Stirn. Meinem Herz? Was war das? Ein Schatten über mir. Zischt über mich hinweg. Hinauf in den wolkenverhangenen Himmel. Raus aus den dunklen, bedrohlich wirkenden Bäumen. Ich atme durch. Eine Eule? Ein Falke? Definitiv ein Vogel. Atme! Atme! Sage ich zu mir. Versuche, meinen eigenen Ratschlag zu befolgen. Scheitere kläglich.

 

Versuche, mich aus dem erdrückenden Griff meiner Emotionen zu befreien. Lasse sie los, sagen sie. Aber wie denn? Sie haben nicht die geringste Ahnung!  Diese Schatten bringen sie einfach retour. Immer wieder und wieder. Gnadenlos. Wollen mich fangen. Doch ich bin schneller. Fahre ihnen davon. Holen sie mich ein? Erschrocken über meinen Gedanken werfe ich einen gehetzten Blick über meine Schulter. Nein, ein Geräusch, aber niemand hinter mir. Ich richte meinen Blick wieder nach vorne. Auf die Straße. Trete so schnell in die Pedale wie meine Beine nur können. Los! los! Schneller! Raus aus den Schatten!

 

Licht! Licht? Da vorne. Ich sehe das Ende des dunklen Waldes. Ein winziges bisschen Hoffnung macht sich in mir breit. Kann ich der Dunkelheit entkommen? Ich sehe ein wenig Helligkeit. Eine Straßenlaterne strahlt mit schalem Licht auf den Beton. Eine einzige. So unbedeutend, aber für mich in diesem Moment wie ein gleißender Sonnenstrahl. Meine Rettungsinsel in dieser Schwärze. Ich fokussiere mich auf diesen Hoffnungsschimmer. Meine Zuflucht. Radle so schnell ich kann. Mein Atem rasselt nur mehr in meiner Lunge. Ich kann nicht mehr. Habe mich in meiner nackten Angst eindeutig verausgabt. Schweißtropfen haben jetzt doch einen Weg in meine Augen gefunden. Ich nehme meine Hand aber nicht mehr vom Lenker weg. Nicht jetzt. Mein Ziel ist zum Greifen nah. Bin fast da. Im Licht. So wenig es auch sein mag.

 

Treten! Treten! Schneller!

Licht! Dahinter sehe ich noch eines. Und noch eines. Danke! Sie haben es repariert. Drängen die erdrückende Schwärze zurück. Zurück in den unheimlichen Wald. Endlich erreiche ich die erste Straßenlaterne. Gerade zur richtigen Zeit. Ich kann nicht mehr! Keinen Millimeter. Ich stoppe mitten im sanften Strahl. Schnappe gehetzt nach Luft. Kalter Schweiß tropft von meinem Gesicht auf den Boden hinunter. Ich merke jetzt, dass mein gesamtes T-Shirt durchweicht ist. Ebenfalls nasser, klammer Schweiß. Was ist los mit mir? Ein sanfter Luftzug. Mich beutelt es ab. Merke, wie das Adrenalin meinen Körper geflutet hat. Wie ein Staudamm, der plötzlich bricht und alles mitreißt, was ihm im Wege steht. Die Vernunft. Mein Denken.

 

Diese Panik. Was soll das blos? Ich blicke noch immer keuchend Richtung Waldstück zurück, durch das ich gerade gefahren bin. Ich schnaube genervt durch die Nase. Nicht gefahren. Gerast. Wie ein Irrer! Warum? frage ich mich. Was war gerade eben mit mir los? Ich kenne diesen Wald! So lieblich und wunderschön bei Tageslicht. Wie oft bin ich hier mit einem berauschenden, energetisierenden Gefühl hindurch gefahren. Habe mich an den Vögeln erfreut. Dem lebendigen, fröhlichen Gezwitscher. Warum heute nicht? Dunkelheit, taucht in meinen Gedanken auf. Ich runzle meine noch schweiß-nasse, kalte Stirn. Die Dunkelheit. Das ist anders. Ich lehne mich zurück und richte mich in meinem Fahrradsattel auf. Dunkelheit. Eine verblasste Erinnerung schiebt sich langsam in meine Gedanken. Ich. Als Kind. Im Dunkeln. Hatte ich mich da gefürchtet? Versuche, mich zu erinnern. Es gelingt mir nur sehr zäh. Irgendetwas schiebt sich immer wieder dazwischen. Wie Nebel, der sich nicht und nicht auflösen möchte. Vergessen. Vergessen wollen? Verdrängen. Jetzt taucht eine Szene auf! Ich als Kind. Draußen. Habe das Gefühl, dass hinter jedem Busch und Strauch etwas lauert. Warum wusste ich das nicht mehr. War das wirklich ich? Blicke erstaunt wieder Richtung dunklem Wald retour. Mein Atem beruhigt sich immer mehr. Erkennen. Danke! Danke, dass ich mich erinnern durfte. Weiß noch nicht, warum, aber es ist ein Anfang. Die Dunkelheit wirkt plötzlich nicht mehr so bedrohlich wie vorhin. Nicht einladend, aber besser. Leichter. Ich weiß, dass eine starke Erinnerung auf diese Schwärze reagiert hat. Lässt mich sehen. Lässt mich fühlen. Lässt mich erkennen, was ich weggeschoben habe. Verdrängt. Als Kind. Unbewusst. Doch stark beeinflussend. Mich. Als Erwachsener.

 

Erstaunt über mich selbst bedanke ich mich beim Wald. Denn ich kenne ihn. Er ist für mich da. Mein Energie- und Ruhepol. Danke ihm, dass er mir gezeigt hat, wo ich hinschauen soll. Nicht gelöst, aber schon leichter. Bewusster. Dunkelheit, sage ich in mir. Hallo! Wir werden uns wieder sehen. Noch sind wir keine Freunde. Noch nicht. Aber vielleicht bald.

 

Ich lehne mich wieder nach vorne. Ergreife meinen Lenker und trete in die Pedale. Gemächlich. Mit ruhigem Atem. Bewusst atmend. Und wissend, warum.

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